Hohenems. Sie nehmen es überaus genau. Yildiz’ Ramadan-App gibt die Zeiten vor: Während die Muslime in Wien gestern bereits um 21.06 Uhr beherzt zugriffen, gestattete der Mondkalender den Vorarlberger Muslimen erst um 21.29 Uhr, ihr Fasten zu brechen. Begonnen hatte es bereits um 3.39 Uhr in der Früh. 18 Stunden ohne Essen und Trinken, und das 30 Tage lang. Ganz schön heftig.
Aber Adil Yildiz (51), Cimen Ufuk (40), Münevver Ünal (52) und Murat Demirtas (28) bereitet es keine Probleme. Und außerdem ist es hier immer noch besser als am Polarkreis. „Esst und trinkt, bis der weiße Faden von dem schwarzen Faden der Morgendämmerung für euch erkennbar wird“, befiehlt Allah im Koran. Im finnischen Oulu aber wird es im Juli gerade mal eine Stunde lang halbwegs dunkel. Die 1500 Muslime der Umgebung müssen Frühstück, Mittag- und Abendessen und ihre Gebete zu Sonnenuntergang und Morgendämmerung zwischen 0.19 Uhr und 1 Uhr nachts erledigen. Murat verzieht das Gesicht. Das will er sich gar nicht vorstellen.
Die vier sitzen im Obmann-Büro der Hohenemser ATIB-Moschee. Der übliche türkische Tee, mit dem jeder Gast bewirtet wird, fehlt heute. Der Zuckerstreuer wartet vergeblich auf seinen Einsatz. Eine kleine Verlegenheit liegt im Raum. Der islamische Fastenmonat im Hochsommer stiftet heuer nicht nur im hohen Norden Verwirrung.
Selbst bei der Fußball-Weltmeisterschaft, bei der sonst Elfmeter und Abseits dominieren, rückte das Wörtchen Ramadan kurzfristig in den Vordergrund. Würde Mezut Özil etwa fasten? Der deutsche Star beruhigte rasch seine Fans. Auch die Muslime in den Reihen der Franzosen und Belgier wollen ihr Fasten später nachholen. Die algerische Nationalmannschaft indessen verweigerte jede Auskunft. In Algerien ist der Islam Staatsreligion. Da kann ein Ausscheren aus der Tradition durchaus Gefängnis nach sich ziehen.
Murat Demirtas ist selbst dem runden Leder verfallen. Der Anlagenbediener einer Metallfabrik kickt für Altenstadt. Derzeit hat er Frühschicht, zwischen 6 und 14 Uhr. Das liegt günstig im Fastenmonat. Der ist Murat sehr wichtig. Auch seine fünf Monate alte Tochter Eflin will er einmal hinführen. „Für Mädchen“, erklärt Adil Yildiz, „beginnt das Fasten mit zwölf Jahren, für Buben mit neun.“ Die islamische Religionslehrerin habe heuer Fastenkalender vorbereitet. Wie beim christlichen Adventskalender gibt jedes Türchen eine Süßigkeit preis. Nach Sonnenuntergang, versteht sich.
Der Hohenemser Moscheeverein zählt heute rund 400 Mitglieder. Während der Fastenzeit werden jeden Abend 14, 15 Familien bewirtet. Man betet und isst zusammen. Münevver Ünal schätzt das nicht nur deshalb so sehr, weil sie sich an ihre Heimat erinnert fühlt. Aus Trabzon stammt auch jener Koch, den die Hohenemser Muslime extra für den Ramadan engagiert haben. So bleibt den Frauen der Dienst am Herd erspart. Münevver zaubert das ein spitzbübisches Lächeln auf die Lippen.
Adil Yildiz hat’s heuer zumindest zu Beginn etwas schwerer. Der Textiler, der bei Fußenegger eine große Waschmaschine bedient, tritt seine Nachtschicht um 21 Uhr an. Wenn die Maschine läuft, kann er schnell zu sich nehmen, was der Magen knurrend verlangt. Auch bei Collini, wo Cimen Ufuk als Schichtführer arbeitet, kennen sie das schon. Die Schicht fängt um 21.30 Uhr an. „Wir Muslime essen dann rasch.“ Dann nimmt die Nachtschicht ihren Lauf.
Für Münevver, Yildiz, Ufuk und Murat ist der Ramadan auch die Zeit, verstärkt im Koran zu lesen. Dass immer ausgerechnet zu Beginn der heiligsten Zeit der Muslime weltweit so viel Terror im Namen ihrer Religion verübt wird, finden sie alle unerträglich. „Weil doch gerade der Ramadan eine Zeit des Friedens und der Familie sein sollte“, fügt die zweifache Mutter und fünffache Großmutter Münevver hinzu.
Für rund 20 Prozent der Weltbevölkerung, oder in Zahlen etwa 1,5 Milliarden Muslime, hat dieser Tage der heiligste Monat des Jahres begonnen – der Ramadan. Im neunten Monat des islamischen Mondjahres fasten die Muslime 30 Tage lang. Sein offizieller Anfang hängt von der Sichtbarkeit der zunehmenden Mondsichel ab und kann deshalb in verschiedenen Regionen der Erde variieren. In Österreich begann der Ramadan bereits am Samstag, in Pakistan und Indien üben praktizierende Muslime seit gestern Verzicht.
Zwischen Sonnenaufgang und -untergang sind sie zu strikter Abstinenz angehalten. Essen und Trinken sowie Rauchen und Sexualverkehr sind in dieser Zeit untersagt. Nach islamischer Überlieferung hat Allah um 610 in einer Nacht im Ramadan seinem Propheten Mohammed das erste Mal den Koran durch den Erzengel Gabriel offenbart.
Die Einhaltung des Fastengebotes wird von allen gesunden, erwachsenen Gläubigen erwartet, sodass während des Ramadans das wirtschaftliche Leben in islamischen Ländern stark eingeschränkt ist. Die sozialen Kontakte werden aber umso intensiver. Das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang wird gemeinsam in der Großfamilie oder in der Moschee gefeiert. Das Zuckerfest bildet den Abschluss des Ramadans. An diesem Tag beschenken sich Verwandte und Freunde mit Süßigkeiten. Die Armen erhalten Almosen, um den Tag gebührend mitfeiern zu können.
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