Von Daniel Willinger
Quelle : Wiener Zeitung
© Daniel Willinger
Wien. Noch ein kurzer Blick, ob das Headset-Mikrofon funktioniert, dann bricht Kemal Altuntas Richtung Gebetsraum auf. Er ist spät dran. Um 17.46 Uhr findet das heutige Abendgebet statt. Die Gebetszeiten richten sich nach dem Sonnenstand. Als er den Saal betritt, sitzen bereits einige Männer verstreut am Teppichboden. Diesmal sind es etwa 30, die den Weg in die mit weiß-blauen Ornamentfließen verzierte Moschee gefunden haben. Der Imam stellt sich vor die Gebetsnische, mit Blick Richtung Mekka. Hinter seinem Rücken versammeln sich die Gläubigen. Mit kräftiger Stimme beginnt er, auf Arabisch vorzutragen. Er kennt jede Betonung, weiß, wann er ein Wort in die Länge ziehen muss. Immer wieder unterbricht er den Gesang und alle knien sich im Gleichtakt nieder. Nach einer Viertelstunde ist das Gebet zu Ende. Ein paar ältere Männer schütteln ihm die Hand, ehe sie ihre Schuhe anziehen und den Gebetsraum verlassen.
Kemal Altuntas wurde wie alle Imame nicht in Österreich ausgebildet.© Daniel Willinger
Seit einem Jahr in Wien
Ohne den hellen Umhang mit schlichten silbernen Ornamenten und der weiß-roten Kopfbedeckung würde man Kemal Altuntas eher für einen Geschäftsmann halten. Schwarze Hose, schwarzes Hemd, unter dem grauen Sakko eine dunkelrote Krawatte – so sitzt er hinter seinem Schreibtisch. Die traditionelle Kleidung streift der Imam erst zum Gebet über. Sein rundliches Gesicht ist glatt rasiert, in den dunklen Haaren blitzen erste graue Stellen. Deutsch spricht er kaum, seine Predigten hält er auf Türkisch. Seit einem Jahr ist der 38-jährige Türke in Wien. Bei seiner Bestellung musste es schnell gehen. Sein Vorgänger in der Moschee des türkischen Kulturverein Atib in Favoriten konnte wegen einer Krankheit nicht mehr weiter arbeiten. Deswegen hat ihn sein Arbeitgeber, die türkische Religionsbehörde anders, als normal üblich, ohne Deutschkurs nach Wien geschickt.
Sein halbes Leben ist Altuntas Imam. Auch sein Vater war Vorbeter. Er ist in der Moschee aufgewachsen. Der Ausgang der Familienwohnung in der türkischen Stadt Adana war gleichermaßen Eingang in das Gotteshaus. Mit fünf Jahren konnte er den Koran auf Arabisch lesen. Der fehlerfreie Vortrag in arabischer Sprache ist Voraussetzung für einen Imam. Wer es nicht schafft, Texte auswendig, richtig und schön zu rezitieren, kann in der Türkei trotz Studiums nicht als Vorbeter arbeiten. Vielen gelingt es auch nach jahrelangem Training nicht. Wer es schafft, gilt als angesehener Mann und als Vorbild für andere Gläubige.
In Österreich überwiegt ein anderes Bild. Vor allem seit dem Vormarsch der Terrormiliz IS wird Imamen hierzulande mit Misstrauen begegnet. Als „Hassprediger“ sollen sie Jugendliche für den Kampf in Syrien radikalisieren. Ein Vorwurf, der nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Erst Ende November wurde ein Imam mit Verbindungen zu salafistischen Kreisen in Bosnien verhaftet, weil er junge Menschen zum Dschihad angestiftet haben soll. Vonseiten des Verfassungsschutzes heißt es, dass in heimischen Moscheen mehrere Prediger aktiv sind, die unter dem Verdacht stehen, Teil einer terroristischen Vereinigung zu sein. Die Mehrheit bilden sie aber nicht.
260 bis 300 Imame arbeiten Schätzungen zufolge in Österreich, genaue Zahlen gibt es nicht. Viele von ihnen sprechen sich klar gegen Terror aus, wie die Reaktionen auf die Terroranschläge in Paris gezeigt haben.
„Hass mit Islam unvereinbar“
Auch für Kemal Altuntas ist Hass nicht mit dem Islam vereinbar. In seinen Predigten geht es um Werte wie Bildung. Er sieht seine Aufgabe auch darin, junge Menschen aufzuklären, dass radikale Ideologien nicht durch Religion gerechtfertigt werden können. Konkrete Verdachtsfälle gab es in seiner Moschee nicht. Im Arbeitsalltag spielen diese Themen kaum eine Rolle. Viel öfter kommen Gemeindemitglieder mit alltäglichen Fragen in sein kleines, mit Büchern vollgeräumtes Büro. Oft geht es um Probleme in der Familie oder Streit mit den Nachbarn. Persönliche Beratung und islamische Lehre zählen ebenso zu seinen Aufgaben wie die Leitung der fünf Gebete. Ein langer Arbeitstag also, denn das erste findet zur Morgendämmerung statt, das letzte nach Einbruch der Dunkelheit.
Viel Geld gibt es dafür nicht. Der Lohn eines Imams fällt in Österreich oft mager aus. Ein Monatseinkommen von 1000 Euro ist keine Seltenheit. „Dass gut ausgebildete Imame deswegen nicht unbedingt hierher kommen wollen, ist verständlich“, sagt der islamische Religionspädagoge Ednan Aslan, der sich in einer Studie mit der österreichischen Imamszene beschäftigt hat. Oft sind diese mit den migrationsspezifischen Herausforderungen überfordert, selbst wenn sie Integration grundsätzlich befürworten. „Imame werden in der Türkei für die Aufgaben in der Türkei vorbereitet. In anderen Ländern ist das genauso. Integrationsfragen spielen dabei keine Rolle.“ Bisher wurde kein einziger Imam in Österreich ausgebildet. Hierzulande gibt es keine Möglichkeit dazu.
Ab 2016 könnte sich das ändern. Dann soll es an der Universität Wien ein islamisches Theologiestudium geben. Für Ednan Aslan eine Chance, einen Islam österreichischer Prägung zu schaffen. Die muslimischen Vereine sind skeptisch. Sie bezweifeln, ob die Absolventen den Anforderungen in den Moscheen gerecht werden. Auch Kemal Altuntas gibt zu bedenken, dass ein dreijähriges Studium alleine womöglich nicht ausreicht.
Neues Islamgesetz ab 2016
Wie lange er noch in Österreich bleiben wird, ist unklar. Das neue Islamgesetz sieht vor, dass ab 2016 kein muslimischer Verein mehr aus dem Ausland finanziert werden darf. Kemal Altuntas ist, wie alle 65 Atib-Imame, türkischer Beamter und bezieht sein Gehalt vom türkischen Staat. Wird das Gesetz im Parlament verabschiedet und hält es den Verfassungsbedenken stand, muss er seinen Dienst in Wien vorzeitig beenden. Es sei denn, Atib schafft es bis dahin, ohne ausländische Finanzmittel auszukommen.
Für heute ist Kemal Altuntas Dienst zu Ende. Die Gebetskleidung hängt fein säuberlich im Büro. Noch vor Sonnenaufgang wird er sie am nächsten Tag wieder überziehen, bevor er das Morgengebet anstimmt.
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