Ali Güvenc: »Jeder Mensch macht einmal einen Fehler!
OÖN: Im Vorjahr haben wir schon einmal miteinander gesprochen. Damals habe ich auch das Reizwort „Sozialschmarotzer“ in den Mund genommen, und Sie haben daraufhin gesagt, dass jemand, der nur in der Absicht nach Österreich komme, um Sozialhilfe zu kassieren oder sich Geld beim AMS abzuholen, gleich daheim bleiben sollte. Hat man Ihnen diese Aussage damals übel genommen?
Güvenc: Im Gegenteil! Das, was ich sagte, kam gut an. Die Reaktionen waren sehr positiv. Auch wir mögen keine Sozialschmarotzer. Wer nach Österreich kommt, muss sich anpassen, arbeiten, integrieren und bereit sein, Deutsch zu lernen. Es bringt ja auch wirklich nichts, nur herumzuhängen oder in Wettbüros zu gehen.
OÖN: Hat sich im Vergleich zum Vorjahr etwas verändert? Ist der Österreicher gegenüber dem Türken toleranter geworden, oder umgekehrt?
Güvenc: Das ganz große Umdenken ist noch nicht erfolgt. Auch heute noch haben manche Österreicher Angst und vermuten hinter einer Kopftuchträgerin gleich eine Terroristin. Aber dem ist natürlich nicht so. Leider geistern immer noch viele Vorurteile herum. Daher wäre es gut, wenn möglichst viele Menschen an den Tagen der offenen Tür vorbeischauen und mit uns reden würden. Auf diese Weise kann man Missverständnisse am besten ausräumen, und so ein Austausch ist auch gut in Blickrichtung Integration.
OÖN: Was ärgert Sie persönlich am meisten?
Güvenc: Gar nicht förderlich finde ich es, wenn eine bestimmte Partei uns Türken für ihre Wahlpropaganda missbraucht und schlecht macht. So etwas schadet ungemein und reizt natürlich.
OÖN: Es ist bekannt, dass Ihr Kulturverein auch Nicht-Türken offen steht. Wird das auch angenommen?
Güvenc: Ja! Bei uns verkehren Araber, Albaner, und andere Nationalitäten, darunter selbstverständlich auch Österreicher. Wir stehen auch grundsätzlich allen Glaubensrichtungen offen.
OÖN: Woher resultiert Ihrer Meinung nach das negative Bild, das viele Einheimische von den Türken haben?
Güvenc: In den 80er und auch in den 90er Jahren sind Fehler gemacht worden, von uns, aber auch von der österreichischen Politik. Natürlich tragen auch Medien nicht unwesentlich zu diesem Rollenbild bei. Stellt ein Türke etwas an, wird häufig gleich die ganze Nation verteufelt, das ganze Volk beleidigt.
OÖN: Hat sich an der Integrationsbereitschaft Ihrer Landsleute etwas verändert?
Güvenc: In einigen Bereichen ist es lockerer geworden, gewisse Spannungsbereiche sind aber nach wie vor vorhanden.
OÖN: Ihr Geburtsland drängt in die EU. Wie schätzen Sie die Beitrittschancen ein?
Güvenc: Ehrlich gesagt, möchte ich gar nicht, dass die Türkei der Europäischen Union beitritt. Das würde den vielen Kleinhändlern in meiner früheren Heimat gar nicht gut tun. Ich bin auch überzeugt, dass die Bauern sehr darunter leiden würden. Es wäre jedoch gut, wenn die Türkei ihre Waren leichter ausführen könnte und die Grenzkontrollen lockerer werden würden. Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass die EU bis zum möglichen Beitrittstermin der Türkei zerfällt.
OÖN: Die Wiener Grünen fordern neuerdings Türkisch als Maturafach. Ich nehme an, dass Ihnen das gefallen wird.
Güvenc: Einerseits wäre es schon gut, also warum nicht. Es wird ja auch Spanisch, Italienisch, Russisch unterrichtet. Abgesehen davon wäre es durchaus hilfreich, wenn man unsere Sitten und Bräuche kennen würde. Österreich würde ja auch weiterhin den Österreichern gehören.
OÖN: Welche Möglichkeiten sehen Sie noch, um das Zusammenleben und gegenseitige Verständnis zwischen Österreichern und Türken zu verbessern?
Güvenc: Jeder Mensch ist bekanntlich anders. Der eine ist offen, der andere ist verschlossen. Um den jeweils anderen verstehen zu können, muss man aber wissen, was er denkt. Wir haben ein Sprichwort. Es lautet: „Wer immer zu Boden schaut, vor dem muss man sich in Acht nehmen!“ Gut für das Miteinander wären gegenseitige Einladungen. Und weil wir gerade dabei sind. Ich bin zum Beispiel dafür, dass ein junger Türke, der einen Fehler gemacht hat, auch entsprechend bestraft wird. Was ich nicht für zweckmäßig halte, sind kleinere Ausrutscher groß in der Öffentlichkeit anzuprangern.
OÖN: Was reizt die Türken eigentlich so an Österreich?
Güvenc: Alles! Es ist ein wunderbares Land. Die Gesetze haben Hand und Fuß und sind nicht schwammig, es gibt Arbeit und man kann hier ein gutes Leben führen.
OÖN: Würden Sie sich heute noch in der Türkei zurechtfinden?
Güvenc: Das wäre vermutlich ziemlich schwer. Österreich ist ja längst meine Heimat geworden.
OÖN: Was wünschen Sie sich für die Tage der offenen Tür?
Güvenc: Dass das Wetter passt, dass viele, viele Leute kommen und dass sie ganz gute Laune mitbringen.
Kultur-Botschafter
Ali Güvenc ist 40 Jahre alt. Vor 34 Jahren kam er nach Ried, im Jahr 2002 erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft. Beschäftigt ist er seit Langem bei der Fa. Ski Fischer. Als Außenvertreter des Kulturvereins ATIB fungiert er sozusagen als Kultur-Botschafter. Güvenc lädt an den Tagen der offenen Tür am Freitag, 3., und Samstag, 4. Juni, alle Interessierten ins Vereinshaus in der Bahnhofstraße 27a ein. Bosnische Brüder werden Lämmer drehen, es gibt Vorführungen türkischer Volkstänze, und für die kleinen Besucher wird eine Hüpfburg errichtet. Außerdem kann man auf dem Basar selbstgemachte Handarbeiten erwerben. Hauptzweck der ATIB-Veranstaltung ist es, mit möglichst vielen Menschen – vor allem Österreichern – ins Gespräch zu kommen. Güvenc: „Selbstverständlich können auch Probleme angesprochen werden, die wir versuchen werden, zu lösen.“
QUELLE : OÖ-Nachrichten
Atib Ried im Innkreis
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.